Zur Verkehrssicherungspflicht des Hotelbetreibers

OLG Koblenz, Urteil vom 07.09.2011 – 1 U 243/11

In einem Beherbergungs- oder Hotelbetrieb ist der Gast – in Anlehnung an die überkommenen allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht – vor Gefahrensituationen zu schützen, die über das übliche Risiko der Betriebsnutzung hinausgehen, vom Gast nicht vorhersehbar und nicht ohne Weiteres erkennbar sind. Regelmäßig bedarf es (nur) solcher Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen, die bei verständiger und vernünftiger Betrachtung aus der Sicht des Betreibers hinreichend und zumutbar sind, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (Rn. 17).

Sind gefahrbringenden Umstände (hier: nasser und rutschiger Fußboden) ohne Weiteres erkennbar, muss sich der Gast Gefahrenstelle einstellen. Eine grobe Außerachtlassung der zum Eigenschutz gebotenen Sorgfalt rechtfertigt nach der Auffassung des Senats eine vollständige Haftentlassung der Beherbungsbetriebes (Rn. 20).

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 3. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

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Die Klägerin begehrt vom Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen eines Sturzes im Nasszellenbereich eines Hotelzimmers.

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Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

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Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme (Protokoll Bl. 61 ff. GA) mit Urteil vom 3. Februar 2011 (Bl. 65 ff. GA) die Klage abgewiesen; hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

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Die Klägerin geht von einer schuldhaften (Verkehrs-)Sicherungspflichtverletzung des Beklagten als Hotelbetreibers aus; das Landgericht habe mit seiner gegenteiligen Auffassung gegen allgemeine Rechtsgrundsätze verstoßen. Beim Boden eines Bades in einem Hotelbetrieb erwarte das Publikum Vorkehrungen gegen Ausrutschen; der Beklagte habe hier aber – entgegen der ihn treffenden umfassenden Sicherungspflicht – lediglich einen „Sicherheit vortäuschenden Lappen“ ausgelegt. Sie, die Klägerin, habe die Einhaltung üblicher Standards im Hotelbetrieb des Beklagten erwarten dürfen; die Unterlassung jeglicher rutschhemmender Maßnahmen oder sonstiger Sicherungseinrichtungen begründe die volle Haftung des Beklagten. Schließlich seien auch die in neuerer Zeit gestiegenen Anforderungen zum Schutz von Schwerbehinderten sowie die offensichtliche fehlende Tauglichkeit des vermieteten Bades zum vertragsgemäßen Gebrauch in die Wertung einzubeziehen.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 3. Februar 2011 abzuändern und

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1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin

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a) 3.181,73 € nebst vorgerichtlichen Geschäftsgebühren in Höhe von 1.236,17 € nebst jährlichen Zinsen aus beiden Beträgen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. März 2010;

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b) wegen des Unfalls vom 20. September 2009 im Hotel …[A] eine angemessenes Schmerzensgeld nebst jährlichen Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 4. März 2010 zu zahlen;

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2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin auch alle weiteren Schäden zu ersetzten, welche ihr noch aus dem Unfall vom 20. September 2009 entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, das die Sach- und Rechtslage zutreffend erkannt habe. Sei – wie zwischen den Parteien unstreitig – zum Unfallzeitpunkt ein feuchter Fliesenfußboden vorhanden gewesen, so habe die Klägerin, die – insofern unstreitig – bereits eine Nacht in dem Hotelzimmer verbracht gehabt habe, diese Gefahrenlage selbst ohne Weiteres erkennen können. Die ausgelegten Fliesen seien im Übrigen in Ansehung ihrer Rutschfestigkeit für einen Feuchtraum geeignet gewesen; in dem Bad habe sich auch ein „handelsüblicher Duschvorleger“ mit erhöhter Rutschfestigkeit (Unterseite) befunden. Das Hotelzimmer sei zum vertragsgemäßen Gebrauch, nämlich zur Übernachtung, ohne jede Einschränkung geeignet gewesen.

II.

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Die – zulässige – Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

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Der Klägerin steht gegen den Beklagten, sei es auf vertraglicher (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. Beherbergungsvertrag) oder deliktischer (§ 823 Abs. 1 BGB) Haftungsgrundlage, ein Schadensersatzanspruch bereits dem Grunde nach nicht zu.

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Es kann im Ergebnis offenbleiben, ob dem Beklagten als Hotelbetreiber eine – fahrlässige – Sorgfalts- respektive Verkehrssicherungspflichtverletzung gegenüber der Klägerin als Hotelgast zur Last zu legen ist. Eine auch nur anteilige Schadensersatzpflicht des Beklagten scheidet nämlich jedenfalls wegen des vollständig überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin am Hergang des Sturzes und ihrer hieraus resultierenden körperlichen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus.

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a) In einem Beherbergungs- oder Hotelbetrieb ist der Gast – in Anlehnung an die überkommenen allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherungspflicht (vgl. zusammenfassend BGH NJW-RR 2011, 888 Tz. 8 ff.) – vor Gefahrensituationen zu schützen, die über das übliche Risiko der Betriebsnutzung hinausgehen, vom Gast nicht vorhersehbar und nicht ohne Weiteres erkennbar sind. Regelmäßig bedarf es (nur) solcher Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen, die bei verständiger und vernünftiger Betrachtung aus der Sicht des Betreibers hinreichend und zumutbar sind, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (Spindler in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Auflage 2008, § 823 Rn. 296; s. auch BGH NJW 2000, 1046 f.; Senatsurteil vom 22. September 2010 – 1 U 681/09 –; OLG Koblenz, Urteil vom 2. März 1989 – 5 U 1119/88NJW-RR 1990, 98 Tz. 34). Der Hotelbetreiber darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Gast sichtbare (Rutsch-)Gefahren erkennt und ihnen durch Achtsamkeit ausweicht respektive begegnet (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1992, 1018).

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b) Nach diesen Grundsätzen liegt es in der Tat nicht fern, den Sturz eines Hotelgastes auf dem nach der Benutzung der Zimmerdusche feucht gewordenen Fliesenboden – wie das angefochtene Urteil – als Verwirklichung des allgemeinen Lebensrisikos einzuordnen. Die Fallgestaltung erscheint im Grunde vergleichbar mit dem Sturz des Hotelgastes auf einem durch Wasser und Seife rutschig gewordenen Badewannenboden (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1992, 1018; s. auch OLG Frankfurt VersR 1988, 598). Im vorliegenden Fall steht allerdings zwischen den Parteien gerade die Rutschfestigkeit des vor der Dusche ausgelegten Vorlegers in Streit. Insofern ist ein dem Hotelbetreiber, gegebenenfalls sogar nach einschlägigen berufsbezogenen Standards, auferlegtes verkehrsgerechtes Verhalten und eine regelmäßig damit verbundene Schutz- und Fürsorgepflicht angesprochen (vgl. allg. Palandt/Sprau, BGB, 70. Auflage 2011, § 823 Rn. 51). Die Klägerin hatte – bekräftigt bei ihrer Anhörung vor dem Senat – das Vorhandensein lediglich eines „(kleinen) Lappens“ behauptet und war dem gegenteiligen Vortrag des Beklagten („handelsüblicher rutschhemmender Duschvorleger“ wie Lichtbild Bl. 55 ff. GA) ausdrücklich entgegengetreten. In eine entsprechende Aufklärung und Abwägung müssten sodann – unter dem Eindruck der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – gegebenenfalls auch die Eigenschaften der im hier gegenständlichen Hotelzimmer verlegten Bodenfliesen einbezogen werden, auch wenn die Klägerin diesen Aspekt in ihrer Berufungsbegründung bestenfalls „versteckt“ und vollends pauschal behandelt hatte.

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c) Der dem Beklagten hier möglicherweise anzulastende Verursachungsbeitrag tritt jedoch im Rahmen der gebotenen Abwägung gegenüber der Mitverantwortung der Klägerin am Unfallgeschehen gänzlich zurück (§ 254 Abs. 1 BGB)

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Ihrem eigenen Sachvortrag folgend ist die Klägerin nach der Benutzung der Duschkabine in ihrem Hotelzimmer auf ein vorgelegtes „kleines Handtuch“, einen „kleinen Lappen“ oder eine „ganz kleine runde Matte“ (Protokoll vom 13. Januar 2011; Bl. 61 GA) getreten; sie hat – wie sie bei ihrer Anhörung vor Senat bekundet hat (Protokoll vom 17. August 2011; Bl. 113 GA) – „beim Aussteigen aus der Duschkabine auch die Fliesen gesehen“. Nach dem im Übrigen unstreitigen Sachverhalt steht fest, dass Haltevorrichtungen inner- oder außerhalb der Nasszelle nicht vorhanden waren und der Fliesenfußboden vor der Duschkabine feucht geworden war. Diese ohne Weiteres erkennbaren gefahrbringenden Umstände mussten der Klägerin dringende Veranlassung zur besonderen Umsicht bei der Benutzung und im Besonderen beim Ein- und Ausstieg aus der Nasszelle geben; sie musste und konnte sich auf die – offensichtlich nur unzureichend abgesicherte – Gefahrenstelle einstellen. Bei dementsprechender Vorsorge (z.B. Abstützen an der [Kabinen-]Wand; besonders langsames, ggf. vortastendes und absicherndes Aussteigen) wäre der – bedauerliche – Unfall mit Sicherheit vermieden worden. Die nach alledem festzustellende grobe Außerachtlassung der zum Eigenschutz gebotenen Sorgfalt rechtfertigt nach der Auffassung des Senats eine vollständige Haftentlassung der Beklagten.

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d) Die von der Berufung angestellten rechtlichen Überlegungen, die der Senat zur Kenntnis genommen und in die Gesamtabwägung einbezogen hat, rechtfertigen keine andere Entscheidung. Im Streitfall steht nicht unmittelbar eine mangelhafte Beschaffenheit des kraft Beherbergungsvertrages überlassenen Hotelzimmers in Rede, sondern vielmehr eine (eigenständige) Obhuts- und Schutzpflichtverletzung des Betreibers; der Rechtsgedanke des § 536a Abs. 1 BGB findet daher keine Anwendung (vgl. BGH NJW 2009, 142 Tz. 12 [Brandschutzvorrichtungen]; Palandt/Weidenkaff a.a.O. § 536a Rn. 5).

III.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

IV.

23

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache betrifft die Entscheidung in einem Einzelfall und hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) noch ist der Streitfall zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu eröffnen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).

V.

24

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt auf

25

17.182 Euro.

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